Mit der Erstellung der Klimabilanz liegen zum ersten Mal konkrete Zahlen aus 2023 vor, wie viel CO2-Emissionen durch den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in Nordrhein-Westfalen (NRW) ausgestoßen werden. Anhand dieser Zahlen wird deutlich, wie gering diese im Vergleich zum Motorisierten Individualverkehr (MIV) ausfallen und damit verbunden, wie viel Emissions-Einspar-Potenzial auf der Schiene liegt.
Zugleich haben die Analysen jedoch auch gezeigt, dass der SPNV sowohl heute als auch perspektivisch vor großen Herausforderungen steht, wenn er einen substanziellen Beitrag zur Treibhausgasneutralität leisten soll, die Nordrhein-Westfalen bis 2045 erreichen muss. Deswegen schließt die Studie mit Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Stärkung des SPNV ab.
Insgesamt verursachte die Erbringung des SPNV-Angebotes 2023 in Nordrhein-Westfalen CO2-Emissionen von etwa 400.000 Tonnen.
Wie viele Emissionen entstehen im MIV? Und wie ist das Einsparpotenzial auf dieser Ebene zu bewerten?
Der Straßenverkehr in NRW verursacht circa 27 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
Die Stadt Detmold verursacht 417.000 Tonnen CO2 pro Jahr.
Die Metropole London verursacht 28,4 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
Der Bundesstaat New York verursacht rund 300 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
Noch eindrucksvoller wird der CO2-Vergleich, wenn man sich vor Augen führt, was es benötigen würde, um das menschengemachte klimaschädliche Treibhausgas aus der Atmosphäre zu entfernen.
Um das gesamte CO2 zu binden, das Autos in NRW pro Jahr ausstoßen, braucht es eine Waldfläche, die 1,3 Mal die Größe von NRW misst. Beim SPNV braucht es hingegen lediglich eine Waldfläche, die rund 3 Mal so groß wie die Stadt Duisburg ist.
Bäume speichern beim Wachstum Treibhausgase und wirken so gegen den Klimawandel. Wie viel CO2 ein Baum pro Jahr speichert, lässt sich seriös nicht sagen. Es gibt aber eine Faustformel, die besagt, dass ein Hektar Wald pro Jahr circa 6 Tonnen CO2 speichern kann.
„Es hilft der Politik, der Verkehrsplanung und der Forschung, den Ist-Wert der CO2-Emissionen im Verkehr und deren Verteilung auf die verschiedenen Verkehrsmittel zu kennen. Damit können die Akteure die wichtigen Stellschrauben für mehr Klimaschutz im Verkehr identifizieren und den möglichen Klimaschutzbeitrag der verschiedenen Verkehrsträger besser abschätzen.“
Thorsten Koska
Wuppertal Institut, Forschungsbereich Mobilität und Verkehrspolitik
Die Studie des Wuppertal Instituts zeigt, dass die Entscheidungen eines jeden Einzelnen zur Verbesserung der Klimabilanz beitragen können. Mit dem CO2-Ausstoß für den SPNV in NRW lässt sich ganz einfach der persönliche CO2-Fußabdruck eines jeden Fahrgastes berechnen. Damit kann jeder ganz genau sehen, wie umweltfreundlich Fahrten mit der Bahn sind.
CO2-Fußabdruck bezeichnet die Menge an Treibhausgasen, die direkt oder indirekt durch eine Person, ein Unternehmen, ein Produkt oder eine Aktivität verursacht wird. Dabei wird die Emission von Treibhausgasen in CO2-Äquivalente umgerechnet, um die Klimawirkung vergleichbar zu machen. Der Begriff ist abgeleitet von dem des ökologischen Fußabdrucks, der 1994 von den Forschern Mathis Wackernagel und William Rees entwickelt wurde.
Spezifische CO2-Emissionen verschiedener Verkehrsträger pro Personenkilometer.
Die Potenzialanalyse bis 2040 macht deutlich: Durch einen besseren SPNV kann viel CO2 eingespart werden – insbesondere durch die Verlagerung vom Auto auf die Schiene.
Grundlage für die Potenzialanalyse ist das Landesverkehrsmodell 2035. Für die Entwicklung des SPNV haben die Wissenschaftler*innen des Wuppertal Instituts nicht nur die Prognosedaten zum Fahrgastaufkommen im Jahr 2040 sowie den angestrebten Angebotsumfang im SPNV betrachtet, sondern sich auch auf die erwartete Zusammensetzung der Antriebsarten in der Zugflotte und den für 2040 zu erwartenden Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix gestützt. Auch die Entwicklung des Pkw-Verkehrs wurde mit dem Landesverkehrsmodell berechnet. Für die Entwicklung der Pkw-Flotte haben die Forschenden die angenommenen Entwicklungen aus vorhandenen Szenariostudien, insbesondere der Dena-Leitstudie, zu Grunde gelegt.
Das Zielnetz wurde von den drei Aufgabenträgern, dem MUNV und dem KC ITF in Zusammenarbeit mit einem renommierten Gutachterbüro entwickelt. Es verfolgt das Ziel, ein zukunftsfähiges SPNV-System zu schaffen, das auf den Prinzipien des Integralen Taktfahrplans basiert und die heterogenen Strukturen des Landes berücksichtigt. Dabei orientiert sich das Zielnetz am Deutschlandtakt und setzt auf eine fahrplanbasierte Infrastrukturplanung, die den Infrastruktur- und Mobilitätsbedarf in den Mittelpunkt stellt. Die Umsetzung erfolgt in Etappen und wird durch qualitativ belastbare Marker überprüft.
geht davon aus, dass bis zum Jahr 2040 nur bereits beschlossene Maßnahmen und Ausbauten der Infrastruktur umgesetzt werden, jedoch keine weiteren Investitionen gemäß der Zielnetzplanungen vorgenommen werden.
Ohne Zielnetz 2040 ggü. 2023
24 %
mehr Angebot im SPNV
Auch ohne Realisierung des Zielnetzes würde die Verkehrsleistung im SPNV im Jahr 2040 in Nordrhein-Westfalen höher liegen als derzeit. Mit voraussichtlich rund 125 Mio. Zugkilometern (Zkm) in 2040 würde der Anstieg jedoch deutlich geringer ausfallen als bei der Realisierung des Zielnetzes. Die Verkehrsleistung würde 2040 etwa 24 Prozent höher sein als heute. Die Nachfrage für Fahrten im SPNV steigt von heute 9 auf dann rund 11 Mrd. Personenkilometer (Pkm).
Ohne die Realisierung des Zielnetzes würde der SPNV in 2040 schätzungsweise 24.000 Tonnen CO2 verursachen.
Mit Zielnetz 2040 ggü. 2023
107 %
mehr Angebot im SPNV
Durch die Umsetzung des Zielnetzes steigt die Verkehrsleistung im SPNV NRW auf rund 209 Mio. Zugkilometer – das ist gegenüber dem Jahr 2023 mehr als eine Verdopplung. Die Nachfrage steigt mit dem Zielnetz 2040 auf rund 22,5 Mrd. Personenkilometer, die mit dem SPNV zurückgelegt werden – auch dies ist mehr als eine Verdopplung gegenüber der Nachfrage 2023
Die aus dem Betrieb des SPNV-Angebotes bei Realisierung des Zielnetzes resultierenden CO2-Emissionen werden für das Jahr 2040 auf insgesamt rund 40.000 Tonnen geschätzt. Dies entspricht etwa zehn Prozent der derzeitigen Emissionen. Dass die Emissionen um rund 90 Prozent sinken, obwohl sich die Betriebsleistung fast verdoppelt, liegt an der erwarteten vollständigen Substitution des Dieselantriebs und dem wesentlich günstigeren Emissionsfaktors Strom in 2040.
2023
100.981.000 Zkm
Mit Zielnetz 2040
209.268.300 Zkm
Ohne Zielnetz 2040
125.145.000 Zkm
Durch die Realisierung des Zielnetzes wird die Fahrleistung im SPNV somit im Jahr 2040 gegenüber der Nicht-Realisierung um rund 67 Prozent erhöht. Gegenüber 2023 sinken die CO2-Emissionen des SPNVs im Zielnetz um rund 360.000 Tonnen. Sie liegen aber um 16.000 Tonnen CO2 über den Emissionen im Nullfall und entstehen aus dem deutlich größeren SPNV-Angebot des Zielnetzes 2040. Durch dieses größere Angebot rechnet das Verkehrsmodell jedoch mit einem Umstieg vieler Autofahrer auf die Bahn, so dass der Autoverkehr im Zielnetz-Szenario gegenüber der Betrachtung ohne Zielnetz im Jahr 2040 rund 217.000 t CO2 weniger emittiert.
2023
80.031.380.900
Fkm
Mit Zielnetz 2040
71.608.441.800
Fkm
Ohne Zielnetz 2040
76.311.714.300
Fkm
Wirkung des Zielnetzes 2040
6 %
weniger MIV
Durch das bessere SPNV-Angebot im Zielnetz 2040 entscheiden sich viele Autofahrer dafür, auf die Bahn umzusteigen. Das Landesverkehrsmodell NRW modelliert Mobilitätsentscheidungen auf Basis der vor Ort verfügbaren Verkehrsmittel, Reisezeiten und weiterer Faktoren. Die Realisierung des Zielnetzes sorgt im Vergleich zur Betrachtung ohne Zielnetz für 6 Prozent weniger Motorisierten Individualverkehr (MIV). Wurden 2023 noch rund 80 Mrd. Fahrzeugkilometer mit dem MIV, also mit Auto, Motorrad oder anderen motorisierten Zweirädern zurückgelegt, erwartet das Verkehrsmodell 2040 ohne Umsetzung des Zielnetzes rund 76 Mrd. Fahrzeugkilometer. Durch das Zielnetz geht diese Zahl auf nur noch rund 71 Mrd. Fahrzeugkilometer zurück.
Wirkung des Zielnetzes 2040
201.000
Tonnen weniger CO2
Die Umsetzung des Zielnetz 2040 macht den SPNV für die Menschen in NRW deutlich attraktiver – laut Verkehrsmodell werden dadurch im Jahr doppelt so viele Kilometer im SPNV zurückgelegt wie ohne Zielnetz. Zugleich wird der Pkw seltener genutzt. Weil die Bahn je zurückgelegtem Kilometer deutlich energieeffizienter ist und weniger CO2 ausstößt, gehen die CO2-Emissionen im Personenverkehr insgesamt um 201.000 Tonnen zurück – im Vergleich der Fälle mit und ohne Zielnetz für das Jahr 2040.
Die NRW-Landesregierung hat ehrgeizige Ziele auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Das bedeutet, dass alle Emissionen, die durch Verkehr, Industrie oder Energieerzeugung abgegeben werden, auch wieder aus der Atmosphäre entnommen werden müssen.
Keine Treibhausgase bis 2045, das ist das Ziel der NRW-Landesregierung. Wie realistisch ist der Weg zu null-Emissionen? Und wie kann der SPNV dabei helfen? Das konnten die Forschenden des WI mit ihren Berechnungen nun erstmals abschätzen.
2030
Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken.
2040
Bis 2040 sollen es in allen Sektoren zusammen 88 Prozent weniger Emissionen sein.
2045
2045 schließlich soll Nordrhein-Westfalen ein klimaneutrales Bundesland sein
Der Verkehr verursachte 2022 in Nordrhein-Westfalen mit fast 32 Millionen Tonnen rund 15 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen. Von den Emissionen des Verkehrssektors verursacht allein der Straßenverkehr 90 Prozent. Zwei Drittel davon verursacht der Personenverkehr, ungefähr ein Drittel der Wirtschafts- und Güterverkehr.
Würden die Emissionen des Verkehrssektors in NRW vom heutigen Niveau bis 2045 linear reduziert, dürfte der Verkehr in Nordrhein-Westfalen 2040 nur noch 6,8 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen, wenn die Minderungsziele, die sich Nordrhein-Westfalen gesetzt hat, nicht verfehlt werden sollen.
Das heißt, der Verkehr muss bis 2040 seine Emissionen gegenüber 1990 um rund 78 Prozent mindern.
Betrachtet man die künftige Entwicklung der Verkehrsemissionen ohne Umsetzung des Zielnetzes, so würden die Emissionen – vor allem durch Maßnahmen der Antriebswende für Pkw und Lkw – auf rund 8 Millionen Tonnen CO2 sinken.
Die Maßnahmen des Zielnetzes bewirken eine zusätzliche Reduktion um rund 200.000 Tonnen auf 7,8 Millionen Tonnen CO2. Zur Erreichung des Klimaschutzpfades, bei dem der Verkehr 6,8 Millionen Tonnen emittiert, ist eine weitere Senkung um rund eine Millionen Tonnen notwendig.
Die Einordnung der Wirkung des Zielnetzes zeigt, dass der SPNV einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet – dass aber zugleich noch viel zu tun bleibt, um den SPNV zu stärken und somit die Ziele zur Klimawende zu unterstützen.
Hierzu können folgende Handlungsempfehlungen des Wuppertal Instituts beitragen:
und besonders auf den letzten Metern zählt jede Tonne CO2. Damit es NRW gelingt, bis 2045 nicht mehr Emissionen auszustoßen, als anderweitig aus der Atmosphäre entnommen werden können, haben die Klimaexperten des Wuppertal Instituts 39 Handlungsempfehlungen für den SPNV und seine Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln erarbeitet. Diese können dabei helfen, dem Ziel der Klimaneutralität näher zu kommen. Ein Garant können sie allerdings nicht sein.
Wichtig dabei sind insbesondere:Mehr Tempo beim Umbau der Infrastruktur
Mehr Zuverlässigkeit im bestehenden System
Mehr Ausbau von neuen und alten Stecken
Mehr Zusammenarbeit der einzelnen Verkehrsakteure
Mehr Intermodalität zwischen den Verkehrsmitteln
Mehr Geld für das System Schiene
Mehr Daten für eine zielgerichtetere Optimierung der Verkehre